Magazin
Bezieht die EU künftig mehr Erdgas aus Aserbaidschan?
Die Transitverträge zwischen der Ukraine und Russland laufen nach aktuellem Stand zum Ende dieses Jahres aus. Noch ungeklärt ist, was dann mit den Leitungen geschieht. Währenddessen könnte die Europäische Union (EU) einen Deal mit einem neuen Erdgaslieferanten schließen.
Transitvertrag: EU und Ukraine befürworten Ende, Russland noch gesprächsbereit
Damit Erdgas aus Russland den Weg nach Europa findet, verlaufen Pipelines durch die Ukraine, die bereits zu Zeiten der Sowjetunion gebaut wurden. Mehrere tausend Kilometer sind diese Röhren lang. Vor dem Krieg Moskaus gegen die Ukraine wurden zu Spitzenzeiten knapp 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr durch diese Pipelines transportiert. Mittlerweile haben die Russen die Gaslieferung stark zurückgefahren: Im Moment werden jährlich lediglich 15 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Leitungen in der Ukraine geschickt.
Die Grundlage für diese Lieferungen ist der Vertrag zwischen dem russischen Staatskonzern „Gazprom“ und der Ukraine als Transitland. Dieser Vertrag endet allerdings zum 31.12.2024. Er stellt die letzte, noch verbleibende politische und wirtschaftliche Verbindung zwischen beiden Ländern dar.
Die EU und die Ukraine signalisieren kein besonderes Interesse an einer Fortsetzung. Aktuell sind insbesondere die Mitgliedsländer Österreich, Ungarn, Italien und die Slowakei auf die Lieferungen über die ukrainischen Pipelines angewiesen. Aus Brüssel heißt es, dass diese Staaten auch über andere Wege importieren können. Russland hat unterdessen Gesprächsbereitschaft signalisiert, um den Vertrag zu verlängern.
Kann Aserbaidschan den Bedarf der EU decken?
Inzwischen hält die EU nach anderen geeigneten Importeuren Ausschau und scheint in Aserbaidschan fündig geworden zu sein. Die Lieferungen könnten ebenfalls über die ukrainischen Pipelines realisiert werden. Schon im ersten Jahr des Russland-Ukraine-Konflikts erhöhte Aserbaidschan seine Gasexporte nach Europa um 56 Prozent. Nach den Plänen des Landes sollen diese bis 2027 noch einmal verdoppelt werden.
Dazu gibt es jedoch widersprüchliche Meinungen. Nach Einschätzung mancher Energieexperten habe Aserbaidschan aktuell noch gar nicht ausreichend Gasvorräte, um kurzfristig mehr nach Europa zu liefern. So bringt unter anderem Aura Sabadus vom Zentrum für europäische Politik-Analyse vor: „Das Land braucht selbst viel Gas und exportiert bereits Gas nach Georgien, die Türkei und nach Europa.“ Zuvor seien noch deutliche Investitionen erforderlich, um die Exporte zu erhöhen – neben Geld koste dies aber auch Zeit.
Ein weiterer Punkt: Die EU-Staaten versuchen, sich allmählich von fossilen Brennstoffen zu lösen, und tendieren zu erneuerbaren Energien. Ein längerfristiger Vertrag wäre demnach wohl nicht im Interesse Brüssels. Außerdem besitzt Aserbaidschan keine gemeinsame Grenze mit der Ukraine. Das Gas müsste daher über das russische Pipeline-System durch die Türkei, Moldawien und Rumänien fließen. Weil die Transitkosten „exorbitant“ seien, wie Aura Sabadus gegenüber der „Deutschen Welle“ erklärt, sei diese Route wohl nicht relevant.
Neuer Vertrag müsste sich auch für die Ukraine mehr lohnen
Ein Vertrag zwischen Aserbaidschan und der EU ist dennoch denkbar. Er könnte vorsehen, dass die Gasversorger Aserbaidschans über Russland verkaufen. Damit würden sie das Zugeständnis machen, dass russische Unternehmen wie Gazprom an den Transitgebühren verdienen. Eine Alternative bestünde darin, dass die Ukraine Gas von Aserbaidschan und Turkmenistan nach Europa leitet. Doch bereits vor Kriegsbeginn hatte Russland diesen Vorschlag abgelehnt, sodass diese Lösung praktisch ausgeschlossen ist.
Schon jetzt importiert Aserbaidschan Gas aus Russland und Turkmenistan. Baku bestreitet zwar den Vorwurf, aber Kritiker sind der Meinung, dass somit ein Re-Export von russischem Gas nach Europa über Umwege vollzogen werde. Andernfalls ist auch eine Art „Gas-Tausch“ im Gespräch. Das bedeutet: Bevor es zu einem Weitertransport kommt, würden Russland und Aserbaidschan ihre Lieferungen austauschen.
Unter welchen Bedingungen die EU einen neuen Transitvertrag auch schließen mag, er müsste mit einem deutlich gesteigerten Liefervolumen einhergehen. Seit Kriegsbeginn nimmt die Ukraine rund 700 Millionen US-Dollar an Transitgebühren ein. Profitabel ist das nur noch sehr bedingt: Bis 2021 lagen die Einnahmen bei etwa 900 Millionen US-Dollar. Den Großteil der Gebühren muss die Ukraine für den Betrieb und den Unterhalt der Pipelines aufwenden. Ein neuer Vertrag käme vermutlich nur zustande, wenn sich ein Zuwachs der Gaslieferungen vereinbaren ließe.